Das Hessenkolleg Kassel – Schule für Erwachsene – trauert um

Herrn Studiendirektor i. R.

Walther Frederking

Herr Frederking hat von 1966 bis 1995 als Altphilologe am Hessenkolleg Kassel das Fach Latein unterrichtet, nach einer Weiterbildung schließlich auch Mathematik. Er war von 1966 bis 1972 Leiter des Wohnheims und ab 1974 Studienleiter an unserer Schule. In dieser Zeit hat er sich an verschiedenen Stellen um die Entwicklung des Kollegs sehr verdient gemacht. Auf Landesebene hat er an der Ausarbeitung von Rahmenplänen für das Fach Latein mitgewirkt und für die Schule ein auf die Bedürfnisse der Kollegiatinnen und Kollegiaten abgestelltes Unterrichtswerk konzipiert. Herr Frederking war besonders an einem Austausch mit anderen Lehrkräften seines Faches auch über die Landesgrenzen hinweg interessiert. So entwickelte sich anlässlich eines Lateinkongresses ein noch heute bestehender intensiver Austausch mit der Kantonalen Maturitätsschule in Zürich. Zudem hatte er stets ein vertrauensvolles und anhaltend gutes Verhältnis sowohl zu den Studierenden als auch zu den Kolleginnen und Kollegen. Dankbar schauen wir auf seine an unserer Schule hinterlassenen Spuren zurück.

Unser tiefes Mitgefühl gilt seiner Familie.

Eberhard Palzer (Schulleitung)
Uwe Bergmann (Personalrat)
Manuel Leimbach (Studierendenvertretung)

singlepost-ic Von Susanne Höhmann Kategorie: Allgemein

3 thoughts on “Wir nehmen Abschied von Herrn Walther Frederking”

  1. VALETE! TU QUOQUE VALE! (Ein Nachruf auf meinen Lateinlehrer)

    In meiner Zeit am Hessenkolleg Kassel (1988 – 1991) hatte ich „Latein beim Frederking“, in den letzten beiden Jahren als Leistungskurs, und es gibt wenige Lehrer, die mich so nachhaltig geprägt haben, wie er.

    Jeder, der bei ihm Unterricht hatte, erinnert sich natürlich noch an das Ritual, mit dem jede Stunde begann: Frederking betrat den Klassenraum, meist mit einem schelmischen Grinsen und zusammen gekniffenen Augen, und rief uns sein sonores „SALVETE!“ zu, worauf wir Kollegiaten unsererseits mit einem „TU QUOQUE SALVE!“ zu antworten hatten. Halten wir eins fest: Wir waren keine kleinen Pennäler in kurzen Hosen, sondern Erwachse, meist zwischen zwanzig und dreißig oder älter, die sich einer solch infantilen Prozedur nur mit einem gehörigen Schuss Selbstironie unterziehen konnten, ohne auf Dauer Schaden zu nehmen.

    Ich aber habe es geliebt.

    Der Lateinunterricht beim Frederking war für mich meine Insel der Glückseligkeit, besonders ab dem Zeitpunkt, als ich aufhörte, nach Gründen zu suchen, für was das Lateinlernen überhaupt gut sein sollte. Von da an war es wie ein Spaziergang durch einen Wald voller Bäume der Erkenntnis: Cicero, Ovid, Matial und vor allem Seneca. Seine Epistulae morales ad Lucilium waren mit das Beste, was mir in drei Jahren Hessenkolleg begegnet ist (keine Angst, ich fange jetzt nicht an zu zitieren). Da ging es schon lange nicht mehr nur ums Übersetzen. „Übersetzen ist Dekodieren und Neukodieren“, sagte Frederking. Also lernten wir bei ihm erst einmal etwas über antike Philosophie, um verstehen zu können, wie wir es sinnvollerweise ins Deutsche übertragen konnten. Wort für Wort übersetzen kann jeder. Wir dagegen betrachteten die alten Texte in aller Ruhe, dann diskutierten wir, und zum Schluss fanden wir kluge Entsprechungen im Deutschen. Und gut klingen musste es auch noch. Ein andermal sangen wir im Chor ein Epigramm von Martial. Frederking gab den Einsatz: „Nuper erat medicus, nunc est vispillo Diaulus. Quod vispillo facit, fecerat et medicus“, schallte es gemeinsam durch den Raum, der Hessen, Niedersachsen oder sonst wie hieß. Nebenbei: Ja, ich war der Kollegiat, der unter dem Decknamen „Martialis secundus“ ein lateinisches Epigramm auf Frederking geschrieben und ans Bekanntmachungsbrett gepinnt hat. Natürlich ahnte er, dass es von mir war. Ich glaube, er fühlte sich trotz des ironischen Inhalts geschmeichelt, denn auch ich schrieb dieses Epigramm nicht aus Hohn, sondern weil ich meinen Lateinlehrer dieses Spottverses für würdig erachtete. Und offensichtlich war es in korrektem Latein, denn das konnte Frederking nicht ausstehen: Wenn sich jemand mit lateinischen Zitaten schmücken wollte aber durch falsches Zitieren seine Halbbildung verriet. Dafür hatte er nur beißenden Sarkasmus übrig, und oft erzählte er uns, seinem Leistungskurs, von solch peinlichen Situationen – von denen, meist Kollegiaten, die kein Latein konnten, aber so taten, als ob.

    Frederking hatte damals bei den Kollegiaten einen schweren Stand. Das kam daher, weil er als pädagogisches Mittel gern zur Provokation griff. Heute glaube ich, seine Provokationen war lediglich ein Gesprächsangebot, eine Aufforderung zum Austausch der Meinung im Sinne der doxa bei Sokrates. Aber wir Kollegiaten wollten keinen Meinungsaustausch, denn wir hatten ja schon unsere fertige Gesinnung, meist links oder links-liberal. Natürlich kann auch nur der provoziert werden, der sich provozieren lässt. Wir waren wohl doch noch sehr naiv – damals.

    Zum Abschluss noch drei kurze Erinnerungen: In einer Projektwoche bot Frederking einen Kurs in Chorgesang an: Lieder der englischen Renaissance. Vorsichtig ausgedrückt: Es gab viele Vorbehalte auf unserer Seite. Aber innerhalb kurzer Zeit konnte er uns für den Chorgesang dermaßen begeistern, dass alle Hemmungen von uns abfielen und wir sogar in der Pause in irgendeiner Ecke von Hamburg, Berlin oder Schleswig-Holstein weitersangen: „Sumer is icumen in, lhude sing cuccu!” – das ganze übrigens als Kanon. Nie wieder hatte ich eine tragendere Stimme als nach dieser Woche Chorsingen beim Frederking.

    Meine zweite Erinnerung sind seine Vokabellisten und das Lernmaterial, das er uns zur Verfügung stellte. Während ich Ende der Achtziger noch weit entfernt davon war, einen eigenen Computer zu besitzen, hatte Federking seinen Unterricht bereits voll digitalisiert. Die Vokabeln waren nach statistischer Relevanz sortiert, Texte analysiert und die dazugehörenden grammatischen Regeln beigefügt. Wir brauchten kein Lehrbuch. Frederking hatte alles im Computer. Ich bin überzeugt: In Zeiten von Corona wäre bei ihm keine einzige Lateinstunde ausgefallen. Längst wäre er technisch so auf der Höhe gewesen, wie man es sich von aktuellen Lehrern wünschte.

    Und auch meine letzte Erinnerung in diesem Nachruf könnte aktueller kaum sein. Muss sich Schule lohnen? Und wenn ja, in welchem Sinn? Gilt es, einfach nur ein vorgegebenes Pensum zu absolvieren? Geht es um den zu erreichenden Abschluss? Und in welchem Rahmen trifft die Schule ihre Entscheidungen – danach, ob es sich lohnt? Muss Bildung überhaupt einen Nachweis dafür erbringen, sich zu lohnen? Als wir 1990 in unser letztes Jahr am Hessenkolleg gingen, machte Walther Frederking einer Kollegiatin und mir einen unerhörten Vorschlag. Wir waren beide in seinem Latein-Leistungskurs und beide interessiert an alten Sprachen. Zu jedem neuen Schuljahr wurden von den Lehrern Kurse angeboten, und Herr Frederking bot uns an, er wolle für uns beide, denn es war nicht abzusehen, dass noch irgendein anderer mitmachen würde, einen Kurs in Altgriechisch abhalten, etwas, das es im Hessenkolleg Kassel noch nie zuvor gegeben hatte. Bei allen Kursen wurde danach gefragt: Sind genügend Kollegiaten eingeschrieben? Lohnt sich das? Wir aber hätten bei Herrn Frederking die Gelegenheit gehabt, etwas zu erleben, was auf eine völlig unvernünftige Art und Weise großartig gewesen wäre: Ein Lehrer und zwei Schüler. Alle drei vertieft in eine Sprache, die keiner mehr spricht und ohne die Aussicht eines anerkannten Abschlusses, auf ein Graecum. Undenkbar oder doch die Insel der Glückseeligkeit? So zu lernen, abseits der Frage, ob sich das am Ende lohnt, wäre der größte Luxus gewesen, denn es war klar: Es hätte sich gelohnt – nur nicht im herkömmlichen Sinn. Ich gestehe, die Kollegiatin und ich waren damals schrecklich vernünftig. Wir lehnten das Angebot ab, denn wir hatten Bedenken, dass uns dieser Kurs in unserem Abiturjahr zu viel Kraft und Zeit rauben würde. Heute weiß ich, unsere Ablehnung war ein Fehler. Heute würde ich gern ein paar Zehntel meiner Abi-Note dafür opfern, dieses eine Jahr Altgriechisch beim Frederking nachholen zu können. Zu spät.

    Mit Walther Frederking starb ein engagierter und streitbarer Lehrer.

    Meine herzliche Anteilnahme gilt seiner Frau Gertraud und allen Angehörigen.

    P.S.
    … und jetzt doch noch das Zitat (übrigens nicht in der allgemein üblichen Übersetzung, sondern in der, die wir beim Frederking gelernt haben): Hoc habent inter cetera boni mores: Placent sibi, permanent (Das zeichnet einen guten Charakter aus: Er ist sich selbst genug (i.S.v. nicht von fremder Menschen Lob abhängig) und ist beständig). Ja, das passt auf ihn …

  2. Herzlichen Dank für Deinen lebendigen Text. Schade, dass ihr das Angebot, Alt-Griechisch zu lernen, nicht angenommen habt. Ich war von 1965 bis 1968 am Kolleg.

  3. Bei uns hieß es „Latein beim Freddy“, aber immer respektvoll. Ich bin Absolvent des LG 14 und „Freddy“ zwar mein Tutor. Wunderbar die Dias seiner Reise nach Rom Anfang der sechziger Jahre. Wir haben an diesen Abenden viel gelacht. Er war immer freundlich und jederzeit ansprechbar.

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